In ihrem gestrigen Referendum votierten die Briten mit rund 52 zu 48 Prozent für einen Austritt aus der EU. Das ist für Europa, aber erst recht für das Vereinigte Königreich eine große Überraschung und eine Entscheidung von historischer Tragweite. Die wirtschaftlichen Wirkungen werden nur sehr langsam spürbar werden, aber nach unserem Dafürhalten nicht mit den dramatischen Folgen der Lehman-Pleite 2008 vergleichbar sein. Der politische Schaden für die EU ist massiv.
Eine Bewertung ist wenige Stunden nach dem Verkünden des Ergebnisses natürlich schwierig und kann nur vorläufigen Charakter haben. Dennoch versuchen wir im Folgenden eine erste politische und wirtschaftliche Standortbestimmung.
Politik
Gegen die EU-Mitgliedschaft haben vor allem Engländer und Waliser gestimmt, Nordiren und Schotten sprachen sich mehrheitlich für deren Erhalt aus. Schon jetzt ist klar: Das Vereinigte Königreich zeigt große Risse. In der Entscheidung blieb die wirtschaftliche Vernunft auf der Strecke. Stattdessen dominierten emotionale Themen wie Flüchtlingsmigration, Sicherheitsbedenken und die als Bevormundung empfundene angebliche Fremdbestimmung aus Brüssel.
Das Votum der Briten ist für die britische Regierung und das Parlament nicht bindend. Allerdings halten wir es für sehr unwahrscheinlich, dass der mehrheitliche Wille der Bevölkerung ignoriert werden kann. Premierminister David Cameron gab heute vor der Weltöffentlichkeit an, dass er den Parteivorsitz im Oktober abgeben und vermutlich auch als Premier zurücktreten wird. Als Nachfolger wird Boris Johnson gehandelt, ein Brexit-Befürworter.
Ihm (oder einem anderen neuen Premierminister) wird es obliegen, die Austrittsverhandlungen nach Artikel 50 des EU-Vertrages zu führen. Für diesen Prozess sind bis zu zwei Jahre vorgesehen, die im Bedarfsfall verlängert werden können. Es ist mit schwierigen und harten Verhandlungen zu rechnen, denn die EU will anderen Mitgliedsstaaten durch zu lasche Haltung gegenüber den Briten keinen Ausstiegsanreiz liefern. Der politische Schaden ist erheblich. Die europakritischen Kräfte in den Mitgliedsstaaten fühlen sich ermuntert, weitere Abstimmungen über EU-Mitgliedschaften sind zu befürchten.
Wirtschaft
Die kurzfristige Unsicherheit wird sich dämpfend auf den weiteren Konjunkturverlauf auswirken. Viele Investitionsentscheidungen stehen auf dem Prüfstand, bis es wieder Planungssicherheit gibt. Das betrifft in erster Linie Großbritannien, aber auch die EU-Staaten. Ganz wichtig: Vergleiche zwischen Brexit und der Lehman-Pleite sind völlig überzogen. In naher Zukunft wird sich sehr wenig ändern. Die Unternehmen werden sich auf die veränderte Situation einstellen. Eine Wachstumsverlangsamung ist zu vermuten, ein Abgleiten der britischen Wirtschaft in die Rezession sehen wir nicht.
[gdlr_space height=”40px”]
Index | Wochentief | Wochenhoch | Kurs aktuell (16:53 Uhr) |
---|---|---|---|
DAX | 9.150 | 10.320 | 9.660 |
Euro Stoxx 50 | 2.741 | 3.052 | 2.809 |
S&P 500 | 2.056 | 2.112 | 2.060 |
Nikkei 225 | 14.868 | 16.388 | 14.925 |